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Friedrich Müller-Reißmann       friedrich.mr@gmx.de                  05  2014

 

Ultima ratio – Der Krieg als letztes rationales Mittel?

 

Dann und nur dann, wenn man  alle anderen  Mittel versucht habe, um sein Ziel zu erreichen,   sei  der Krieg  als „letztes Mittel“, als „ultima ratio“ erlaubt, sagen die Theoretiker des „gerechten Krieges“.

Um welches Ziel,  um welchen Zweck geht es eigentlich,  für deren Erreichung   Krieg erlaubt sein soll?   Um die Eroberung irgendeiner  Insel,   auf die wir  schon  seit Urzeiten ein Anrecht und um die sich schon unsere Väter vergeblich bemüht haben? Nein, o nein, würde  der  Theoretiker des  gerechten Krieges antworten, das wäre  unsittlich und nicht zu verantworten.   Ja, was aber, wenn  uns andere eine Insel wegnehmen wollen, weil sie der Meinung sind, dass sie eigentlich ihnen zusteht?   Ja, das muss mit allen Mitteln verhindert werden!  Es gibt Zwecke, die sind so heilig, dass sie die Mittel heiligen: die Unversehrtheit unseres Territoriums,  unsere Freiheit („lieber tot als Sklave“, „Lieber den Tod, als in der Knechtschaft leben“), unsere nationale Sicherheit…

 

Auf die Frage, ob  Zwecke so  „heilig“ sein können, dass mit ihnen das massenhafte Töten von Menschen zu rechtfertigen ist, gehe ich hier nicht ein (s. dazu  meinen Text „Sirenenklänge“) .   Jetzt  versuche ich nur,  die  Rationalität zu begreifen,  deren „letztes Mittel“ der Krieg ist.

 

Wenn der Krieg das  „letzte“ rationale Mittel ist, mit dem man seine Ziele  zu erreichen hofft, dann fragt sich doch, was die ersten, zweiten, dritten   rationalen Mittel sind, mit denen wir normalerweise unsere Ziele erreichen, bevor wir zum letzten Mittel greifen müssen, und  ob zwischen diesen und dem letzten Mittel ein innerer Zusammenhang besteht.  Sind  diese vielleicht in hohem Maße  ursächlich   dafür verantwortlich, dass  Situationen eintreten, in denen man sich gezwungen sieht,  nach  dem Krieg als letztem  Mittel zu greifen?    Ganz simpel gefragt:  Nützt  es am Ende gar nichts, den Krieg nicht zu wollen, wenn man gleichzeitig mehr und immer mehr für sich selbst will ohne Rücksicht auf Verluste der anderen?  Oder grundsätzlicher gefragt:  Welche Art von Rationalität ist es denn, die uns beherrscht und der wir  willig  folgen auf dem Weg, an dessen Ende  nur noch  der Krieg als Ausweg erscheint?

 

Am elementarsten ist die herrschende Rationalität  gekennzeichnet als Geist der Teilung, Separierung, Aufspaltung, der Diskriminierungen und Privilegien.    In  der römischen Formel „Divide et impera!“ findet er seinen sprichwörtlichen  machtpolitischen Ausdruck.  Zu ihm gehört die Zweiteilung der Menschen in Freunde und Feinde verbunden mit dem  Glauben, dass der Schaden der einen der Nutzen der anderen sei und  umgekehrt. Es ist ein Geist, der  nicht weiß oder nicht wahrhaben will, dass alles Lebendige miteinander verbunden ist, und für den unvorstellbar ist,  dass man tragfähige Lösungen am ehesten findet, wenn man  seine eigenen Interessen offenlegt und die Interessen des anderen anerkennt und  berücksichtigt.

 

In scheinbar harmlosen alltäglichen Formen begegnet uns dieser Geist im Männlichkeits- und Dominanzgehabe, in der Kompromissscheu, in der Angst, man würde sich etwas vergeben, wenn man dem anderen entgegenkommt, in all den  Praktiken, den anderen auf Distanz und klein zu halten.  In der Politik  tritt er im verbreiteten  „positionellen Politikstil“ zutage.   Seine bevorzugten Werkzeuge sind  Lüge und Täuschung des   politischen Gegners und der Öffentlichkeit. Man handelt   unbeirrt   im eigenen Interesse und sucht seinen  kurzfristigen Vorteil, wo immer es geht,  kultiviert aber ein Bild von sich, dem langfristigen  Allgemeinwohl zu  dienen.

 

Es ist  die  berechnende  Partialrationalität   des  eigenen und kurzfristigen Vorteils, die  in  ihrer Berechnung   die  Schäden und Kosten,  die erst  in weiterer Zukunft auftreten oder von anderen zu tragen sind,  unterbewertet oder ganz unterschlägt. Sie begegnet uns in Reinkultur  in   der herrschenden Ökonomie, wo die  (betriebswirtschaftliche) Orientierung am Eigennutz   offen  und bewusst  als Erfolgsmethode propagiert und ideologisch  überhöht wird. Welche breite  „Spur des Todes“, welches menschliche Leid, welche  kulturellen und ökologischen Verwüstungen diese egoistische Ökonomie in der Welt hinterlässt,  kommt nur bei besonders spektakulären Unfällen wie dem Einsturz einer  Textilfabrik in Bangladesch mit 1000 Toten stärker  ins öffentliche Bewusstsein.

 

Es ist die Rationalität  des Machbarkeitsglaubens und der  blinden Zielorientierung,  bei der man sich so sehr   auf  sein Ziel konzentriert, dass  die Reflexion der Mittel, die man dazu einsetzt, ganz nebensächlich wird.  Zu dieser Rationalität gehört die Überzeugung von der Neutralität der Mittel. Wie könnte man sich  ausschließlich auf sein Ziel konzentrieren, wenn man die Eigendynamik der Mittel, gewissermaßen   ihre Eigenmächtigkeit, auf die Realität einzuwirken,  begriffen hätte?  Schon einfachste Überlegungen sagen uns, dass  oft  mit dem   eingesetzten Mittel das Ziel  selber  seinen Sinn verliert.  Auch der Schuss mit der Kanone ist ein Mittel, mit dem der Spatz getötet wird. Aber  um welchen Preis verheerender Nebenwirkungen wird das angestrebte Ziel erreicht!  Man sagt, dass die Ziele die Mittel  aufwerten.   Es ist umgekehrt: die Mittel  entwerten die Ziele. Man kann es auch so ausdrücken:  Wer unmenschliche Mittel einsetzt, dem kann es nicht um menschliche Ziele gehen.

 

Es ist die Rationalität des wissenschaftlich-technischen Handelns, die  in  Bezug auf die Bearbeitung von materiellen Objekten sinnvoll ist, die aber bei Übertragung auf die gesellschaftliche  Welt von  Subjekten zum Ungeist  der Technokratie wird. Man glaubt, berauscht von der   erstaunlichen  Potenz  der Technik mit der  Herangehensweise des Ingenieurs alles und jedes in den Griff bekommen zu können, mit der Gentechnik die Bausteine des Lebens, mit  Psychotechnik das Seelenleben des Menschen,  mit der „Sozialtechnik“ die Gesellschaft als Ganzes  zum Besseren konstruktiv  verändern zu können.

Der Techniker  versucht, die Nebenwirkungen der von ihm eingesetzten Mittel  zu kontrollieren und weitgehend auszuschließen, dass sie  die angestrebte Hauptwirkung konterkarieren. Das ist das Ideal.  Schon bei sehr großen technischen Systemen und Projekten wie z.B. beim Bau gigantischer Stauseen, ist das nicht mehr gewährleistet.   Glaubt man  allen Ernstes, ganze Gesellschaften nach dem Modell des technischen Handelns konstruktiv verbessern und vor dem  Absturz ins Verderben bewahren zu können?  Das zu glauben, ist die  logische Vorstufe zum Glauben, mit Waffen Frieden schaffen zu können. Oder anders gewendet: Krieg ist  die absurde Aufgipflung  der „Sozialtechnik“, der „ letzte Triumph“ der  Technokratie.

 

Es ist die Rationalität der Bürokratie,  die das eine minutiös und   gewissenhaft  zählt und verbucht,  und vieles andere  gewissenlos  nicht zur Kenntnis nimmt oder verdrängt. Da wird jeder Pfennig genau abgerechnet und die  Million leichtfertig ausgegeben. Regeln werden  bis zum Exzess ernstgenommen,  Dienstvorschriften bis hin zur Kleiderordnung starr und stur befolgt, selbst wenn  „die  Welt untergeht“.  Die  Etikette rangiert höher als Werte und Menschenleben. Auch in Religionen kann dieser Ungeist  zur Herrschaft gelangen   Religion verkommt zum Buchstabenglauben  der „Pharisäer“  und „Schriftgelehrten“,    der „Talibane“, „Evangelikalen“,  und  „Ultraorthodoxen“.   Jesus, der einen völlig anderen Geist von Religion verkörperte, hielt  den  Pharisäern entgegen“  „Ihr Heuchler, ihr  verzehntet  Dill,  Pfefferminze  und Kümmel.  und vergesst das Wichtigste am Gesetz: das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben“ (Math. 23.23).

 

Es ist die „Rationalität der absoluten Konkurrenz“,  eine Mentalität,  bei der man die Verlierer braucht, um sich als Gewinner fühlen zu können. Das müssen nicht unbedingt erklärte „Feinde“,  sein, die man  „besiegt“, es kann auch die große Masse der Ultima ratio„Durchschnittlichen“ sein, aus der man sich „heraushebt“. Die Vorstellung, dass man gewinnen kann, ohne dass jemand verliert,  ist dieser Mentalität fremd.

 

Es ist die Rationalität  des Geldes,  die das Geld   zum  Mittel des „Geldmachens“ pervertiert und den arbeitenden Menschen zum Verlierer macht.

 

Zu diesen  „Rationalitäten“  gehört nicht zufällig  das Schwarz-Weiß-Weltbild.  Wir sind zur Durchsetzung unserer Ziele mit allen Mitteln geradezu verpflichtet, denn wir sind die „Guten“, die  rassisch  Überlegenen, die Träger des Fortschritts, die Demokraten, die ökonomisch Erfolgreichen, die „Besten der Besten“, …

Unser Kampf ist gerecht, er  geht gegen die „Bösen“, die  Minderwertigen,  gegen Verräter,  Ungläubige,  Gottlose,  Imperialisten, Kommunisten,  Zionisten, Terrorristen, „Banditen und Faschisten“…

 

Der Ungeist der Partialrationalität, wie er uns  als Ökonomismus, Technokratie, Bürokratie oder Konkurrenzfixierung begegnet,   macht die Welt immer friedloser, bis wir am Ende im Krieg  unser Heil suchen.

 

Auf der   politischen Ebene   sind die konkreten Vorstufen der  manifesten  direkten Gewaltanwendung:   der Sicherheitswahn, der zum Aufbau  monströser  Sicherheitsapparate führt, gepaart  mit der Unwilligkeit  oder Unfähigkeit, sich mal  für einen Moment in die anderen hinein zu versetzen und deren  Ängste, Sicherheitsbedürfnisse,  Zwangslagen, Interessen usw.  ernstzunehmen, ja auch nur wahrzunehmen, das  Beharren auf Maximalforderungen, Versuche, den anderen zu übertölpeln und auszutricksen,  Einschüchterung,  Überwachung bis zum Exzess, Drohung mit Sanktionen, zunächst nichtmilitärischen, doch dann auch offen mit Gewalt usw.

Alle diese  Strategien und Maßnahmen  verschärfen die Probleme, die sie zu lösen vorgeben.  Die monströsen Sicherheitsapparate z.B.  erzeugen keine Sympathie bei denkenden Menschen, am wenigsten bei der heranwachsenden  Generation und sie verschlingen  Unmengen an Geld, das dann für  soziale und kulturelle Programme fehlt.

Diesen  „rationalen“ Vorstufen  des Krieges.   stehen   Alternativen gegenüber, die einer  anderen Rationalität, der  Rationalität  der Kooperation,  folgen.  Diese   geht davon aus, dass nur ein gemeinsamer Gewinn  wirklich erstrebenswert ist. Sie fragt zuerst, wie man am besten so handeln kann, dass langfristig betrachtet für alle der Gewinn am größten ist. Sie weiß, dass der kurzfristig, schnell  erzielte Erfolg auf Kosten des anderen langfristig nicht trägt, sich häufig sogar ins Gegenteil verkehrt.  Der Besiegte sinnt auf Rache und Vergeltung und mobilisiert alle seine Kräfte, seinerseits  zum Sieger über den zu werden, der heute noch als Sieger triumphiert. Der vom  Geist der Konkurrenz beherrschte Mensch  glaubt, dass genau  dieses  unablässige  Hin und Her,  dieser  ewige Wettkampf  um Einfluss  und Macht die Welt „voranbringe“.  Er glaubt das bedingungslos und fragt nicht nach den Opfern, denen diese „Fortschrittsmethode“  ihr Leben  zerstört, und anderen  irreversiblen  sozialen und ökologischen Schäden.

 

Der Geist der Kooperation  ist keineswegs ein Geist des Stillstands und des Sichbegnügens  mit den Gegebenheiten, der  nichts anderes kennt als   eine gerechte Verteilung  des Bestandes.  Es ist vielmehr der Geist des lebendigen Suchens nach besseren Lösungen für alle Lebensbereiche:  für den politischen Umgang mit der Meinungsverschiedenheit ( „Diskursiver Politikstil“), für die  Wirtschaft („Post-Wachstums-Gesellschaft“), für  die „Energieversorgung („Energiewende“,  „Dezentralität“), für die  Lebensmittelversorgung („Ökologischer Landbau“, „Urbane Landwirtschaft“), für ein anderes Geld („Regionalwährungen“,  „zinsloses Geld“).

Zum Geist der Kooperation gehört durchaus  die Konkurrenz, aber es ist eine Konkurrenz um die besten Ideen im    unbegrenzten „Raum der  Ideen“  und nicht um die größte  Verfügungsgewalt über die  begrenzten natürlichen Lebensgrundlagen.

Text im PDF-Format.    Ultima ratio

Geistige Mobilmachung ( 2013)

Dschingis Khan ließ dem Schah des mächtigen islamischen Reiches Choresmien, nachdem dort eine mongolische Karawane überfallen und niedergemacht worden war, die lapidare Botschaft übermitteln: „Du willst Krieg? Du sollst ihn haben”. Wenig später war das blühende Land mit seiner prächtigen Hauptstadt Gurgandsch verwüstet und dem mongolischen Reich einverleibt. Das geschah um das Jahr 1220.

Diese Anekdote wirft ein bezeichnendes Licht auf den skrupellosen übermächtigen Eroberer, ist aber völlig untypisch und irreführend, was Kriegsauslösungen im Allgemeinen betrifft. Sie blendet den ganzen großen Aufwand der Kriegsvorbereitung aus. Selbst in den Staaten und Stämmen in vordemokratischen Zeiten musste über einen längeren Zeitraum ein System der Erziehung zur „Wehrertüchtigung”, bestehend aus bestimmten Mythen, Idealen, Symbolen. Ritualen, Belohnungen und Strafen, Übung und Drill usw., aufgebaut werden, bevor man eine hinreichende Zahl “kriegstauglicher” junger Männer, die sich bestimmten Vorstellungen von Männlichkeit, Ehre, Pflicht usw. unterwarfen, zur Verfügung hatte, um losschlagen zu können. Gerade die Mongolen Dschingis Khans haben sich bei der Entwicklung von Korpsgeist an Systematik hervorgetan.

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Friedrich Müller-ReIßmann

 

Verschwörungen und Verschwörungstheorien (November 2012)

 

 

 Verstellung und Verblendung: Die Selbstimmunisierung  der Verschwörungstheorie

Wer wollte bezweifeln, dass es Verschwörungen gibt, geheime Pläne und Absprachen, um durch Machenschaften im Verborgenen bestimmte   (politische) Ziele  zu erreichen, die man in offener Auseinandersetzung kaum erreichen würde?  Das typischste  Bespiel ist die  Verschwörung zum Sturz einer  Regierung. Es gehört zum Wesensmerkmal einer Verschwörung,  dass die Verschwörer alles tun werden, um den Eindruck zu erwecken bzw. zu erhalten, dass es gar keine Verschwörung gäbe. Und hier hat das Verwirrspiel seine  Wurzel, Weiterlesen »

Friedrich Müller-Reißmann   friedrich.mr@gmx.de   (Sept.2012)

 

Wortkeulen, Schimpf- und Schmähwörter

 

„Worte sind Taten und Taten sind Worte” (Augustin).

 

Wörter haben eine Wirkung. Mit bestimmten typischen Wörtern, Schimpf- und Schmähwörtern, werden Menschen aggressiv gemacht, gereizt, verletzt, gedemütigt, demotiviert, abgewiesen.  Im politischen Kontext werden bestimmte Wörter zu Wortkeulen, die den Kontrahenten zum Schweigen bringen (sollen). Und  wenn  das auch nicht  immer gelingt, so bewirken sie doch   meistens eine Brandmarkung des Kontrahenten, so dass er weniger Gehör findet. Leider werden Wortkeulen nur selten zum Bumerang. Weiterlesen »

Zwei Probleme – ein Thema

Seit 40 Jahren[1]  wird in der kritischen Öffentlichkeit  thematisiert, dass fortlaufendes Wachstum des materiellen Lebensstandards  zum Systemkollaps führt. Unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind  nicht unbegrenzt belastbar. Dennoch ist kein wirkliches Umdenken erfolgt. Die Gesellschaften, auch unsere, scheinen unter einem Wachstumszwang zu stehen. Warum?  Liegt es einfach daran, dass „die Menschen”  nun mal  immer mehr haben wollen?

 Mindestens ebenso lange  weiß man von der verfestigten und  wachsenden   sozialen Polarität  in der Welt –   Reichtum, Überfluss und Verschwendung  hier, Armut, Mangel  und Hunger dort -,   ohne dass man ernsthaft die verursachenden  Mechanismen in den gesellschaftlichen  Organisationsstrukturen  antastet. Auch hier bleibt  es meist beim Verweis auf „den Menschen” und seine moralischen Defizite:  Gier und Habsucht, Machtstreben, kurzfristiges Gewinndenken,  Gleichgültigkeit, Trägheit, Fatalismus usw. 

Beide Probleme, die Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum  und die wachsende „soziale Kluft”,   sind   im Grunde ein  Thema. Man wird  sich nicht aus dem Wachstumszwang befreien können, solange man politisch zulässt, dass eine Minderheit immer mehr Reichtum an sich zieht.   Um den dadurch  drohenden sozialen Kollaps zu vermeiden, sieht  sich die Politik dann gezwungen, solange  wie es irgendwie geht,  nach Wachstum  zu streben  und  die Zuspitzung der ökologischen Probleme in  Kauf zu nehmen.  In einer Welt  krasser sozialer  Spannungen geraten fast zwangsläufig ökologische Belange in den Hintergrund.  Und verdient die soziale Frage denn nicht  den Vorrang vor der ökologischen? Aufs Ganze gesehen sind doch die natürlichen Systeme viel stabiler als gesellschaftliche, und durch  Kriege und Bürgerkriege, Flucht, Vertreibung, sozial bedingte Hungerkatastrophen usw.  kommen sehr  viel schneller Tod und Leid über die Menschen als durch die Vernichtung ihrer natürlichen  Lebensgrundlagen. Doch deshalb zu meinen,  die Wachstumsstrategie sei eine angemessene Antwort auf das soziale Problem, ist ein fataler Irrtum. Ohne  grundlegende  Strukturreformen, ohne gerechtere Verteilung des Sozialprodukts  vergrößert die Wachstumsstrategie nur die soziale Polarität und bringt über kurz oder lang alles  in Gefahr, was  an Wohlstand und sozialem Fortschritt  gewonnen wurde. Und im Blick auf das ökologische Problem droht  der Zusammenbruch   unserer natürlichen Lebensgrundlage.  Doch diesen  Zusammenbruch sollte man sich nicht  wie einen harten Aufprall an eine Mauer vorstellen, durch den das Leben für alle, arm oder reich,  schlagartig  endet.  Er wirft vielmehr lange seine Schatten voraus:  Versorgungsengpässe, Klimaverschiebungen, extreme Wetterphänomene, Epidemien von Krankheiten und Schädlingen, Vekarstung landwirtschaftlicher Flächen, Unbewohnbarkeit  ganzer  Regionen usw., und diese Schatten  treffen die Menschen höchst ungleich. Arme  Länder werden  härter getroffen als reiche, und auch innerhalb der Länder  sind es die  Armen, die mehr und länger leiden müssen; Reiche haben  vielfach Möglichkeiten, den Schadereignissen auszuweichen, und können die Schäden schneller kompensieren. Mit anderen Worten:  Wenn wir gegen  die Umwelt „sündigen”,  vergrößern wir auch das Potential der sozialen Spannungen in der Welt. Längst   sind Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen  um Wasser, Weideplätze, Fischgründe  in vielen Ländern an der Tagesordnung.  Und auch geostrategisch  spielt der Zugang zu energetischen und anderen knapper werdenden Ressourcen, Wasser, landwirtschaftlich attraktiven Flächen usw. eine zunehmend wichtige Rolle. Es ist ein Kurzschluss, zu meinen, man könne wegen der unbestreitbaren Dringlichkeit der sozial verursachten Probleme die Lösung der ökologischen hintanstellen.  schon heute schlägt die Natur, die die massiven Folgen der Reichtumserzeugung nicht mehr einfach „wegstecken” kann, blind  zurück:  dIejenigen, die am meisten an Raubbau, Abholzung, Überfischung, Monokulturen, Schadstoffproduktion  usw. verdienen,  sind nicht dieselben, die von den  Umweltschäden, von  extremen Wetterereignissen, Stürmen, Dürre, Überschwemmung;  Artensterben, Giften in Nahrungsmitteln, krankmachender Luftverschmutzung  usw. am stärksten getroffen werden.     Das verschärft die Kluft zwischen ARM und  REICH zusätzlich.

Durch Wachstum  die wachsende Polarisierung zwischen ARM   und REICH „sozial abfedern”  oder auch nur Zeit bis zur unumkehrbaren „sozialen Verwüstung”  gewinnen zu wollen, ist eine illusionäre und gefährliche Strategie. Wenn man das soziale Problem wirklich angehen will,  muss man gezielt bei den Ursachen der  wachsenden Polarisierung ansetzen. Weiterlesen »

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